Prozessstandschaft und Verbandsklagerecht

Das AGG ist aktuell nur anwendbar, wenn Betroffene selbst Klage führen. Die Praxis zeigt: die damit einhergehende emotionale, finanzielle und zeitliche Belastung können oder wollen viele Betroffene nicht tragen, obwohl sie sich eine Veränderung wünschen. Dies gilt insbesondere für Menschen in prekären Lebenssituationen, etwa Geflüchtete oder Schwangere, und in zentralen Lebensbereichen, wie etwa beim Zugang zu Wohnen oder Arbeit. Die Prozessstandschaft (das Abtreten individueller Rechtsansprüche an einen klageführenden Verband) und das Verbandsklagerecht (ein Verband führt Klage unabhängig von konkret Betroffenen) sind Möglichkeiten, das Gleichbehandlungsgebot einzufordern und Betroffene zugleich entscheidend zu entlasten. Aus dem Umwelt-, Verbraucherschutz- sowie Behindertenrecht liegen Erfahrungen mit diesen Instrumenten vor. Inwiefern planen Sie, die Prozessstandschaft und ein Verbandsklagerecht in das AGG aufzunehmen?

Antworten der Parteien
CDU / CSUDie deutsche Rechtsordnung geht grundsätzlich vom Individualrechtsschutz nach Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes aus. Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es dort, wo die Rechtsdurchsetzung aus faktischen Gründen nicht einer Einzelperson zugeordnet werden kann, wie beispielsweise im Natur- und Umweltschutzrecht; die Natur selbst kann nicht klagen. Darüber hinausgehende Ausnahmen wie in § 15 Behindertengleichstellungsgesetz oder das Klagerecht von Verbraucherschutzverbänden nach dem Unterlassungsklagengesetz sollten als systemfremd Ausnahmen bleiben. Finanzielle Hürden können durch das System der Prozesskostenhilfe ausgeglichen werden. Darüber hinaus ist eine gewillkürte Prozessstandschaft bereits nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. CDU und CSU planen deshalb nicht, ein Verbandsklagerecht oder eine eigens geregelte Prozessstandschaft in das AGG aufzunehmen.
SPDDas Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist vor elf Jahren in Kraft getreten. Wir werden es weiterentwickeln und wollen ein Verbandsklagerecht im AGG verankern.
Die LinkeDie Fraktion DIE LINKE spricht sich für ein Verbandsklagerecht aus.
Bündnis 90 / Die GrünenDiskriminierung ist nicht nur ein individuelles Problem, vielmehr gibt es in unserer Gesellschaft strukturelle Diskriminierung. Es ist klar, dass Opfer von Diskriminierung hohe emotionale Hürden überspringen müssen, bevor sie etwa ihre Arbeitgeber verklagen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, fehlende Rechtsberatung oder die Prozesskosten sind nur einige der Gründe. Häufig fehlen aber schlicht die Daten und die Kenntnisse, um eine Diskriminierung im Sinne des AGG mit Indizien untermauern zu können. Deswegen ist es notwendig, dass auch die Antidiskriminierungsverbände grundsätzlich in die Lage versetzt werden, ohne die Verletzung eigener Rechte darlegen zu müssen, Klage zu erheben auf Feststellung, dass gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen wurde. Soweit eine betroffene Person selbst Klage erheben kann oder hätte erheben können, soll nach unserem Vorschlag die Verbandsklage nur zulässig sein, wenn der Antidiskriminierungsverband geltend macht, dass es sich bei der Maßnahme um einen Fall von allgemeiner Bedeutung handelt. Dies soll insbesondere der Fall sein, wenn eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle vorliegt.
FDPWir sehen für die Aufnahme der von Ihnen vorgeschlagenen Instrumente ins AGG keinen Bedarf. Das zivilrechtliche Rechtssystem beruht auf der Individualklage. Gerade bei sehr persönlichen Fallkonstellationen, in denen es um Diskriminierung geht, ist es sachgerecht, dass der Betroffene auch selbst über eine Klage und in einem Rechtsstreit über die Prozesshandlungen maßgeblich mitentscheidet. Dies wäre insbesondere bei Einführung eines Verbandsklagerechts, aber auch bei der Prozessstandschaft, nicht mehr gegeben. Die bei Rechtsstreitigkeiten nach dem AGG typische individuelle Betroffenheit aufgrund einer konkreten Lebenssituation besteht zudem bei umweltrechtlichen oder verbraucherschutzrechtlichen Verbandsklagen nicht.
Zudem können sich Betroffene anwaltlich vertreten lassen und Prozesskostenhilfe beantragen.
AfDVon der AfD haben wir bis zum spätesten Abgabedatum (04.08.2017) keine Antworten auf die Wahlprüfsteine erhalten.